Andreas Rebers Preis

Helge Schneider zum 70sten Geburtstag

eine Laudatio –
von Andreas Rebers

Als ich 1996 erstmals in der Münchner Lachundschießgesellschaft aufgetreten bin und man sich im Kreise der Kabarettisten unterhielt und sich erzählte, wen man denn so gut findet, sagte ich: Helge Schneider. Als man mich daraufhin etwas verdutzt ansah und mich fragte warum, war meine Antwort: „Der ist frei und der kann wahnsinnig viel!“´Dieter Hildebrandt sagte dann, dass er, also Helge, unpolitisch sei, also nichts „Wichtiges“ mache, so wie wir politischen Kabarettisten. Ist das so?

Viele Jahre später traf ich Helge in der Satiresendung „Neues aus der Anstalt“ mit Georg Schramm, Frank Markus Barwasser und Urban Priol. Helge fragte, was man eigentlich von ihm wolle, weil er ja nichts „Wichtiges“ mache? Sein Auftritt wurde zu einem grandiosen Ereignis. Alfred Biolek hat ihn einmal gefragt, wie lange es für Helge Schneider dauert einen Song zu schreiben. Helges Antwort war: „Solange wie er dauert.“

Damit war das Kopfzimmer von Alfred überfordert. Rein wissenschaftlich spreche ich von der Schneiderkunde, beziehungsweise: der Helgologie. Auf Helge Schneider sollte man immer vorbereitet sein. Wer Helge Schneider ist, ist einfach. Was Helge Schneider ist, ist kompliziert. Er ist absolut authentisch, einzigartig und dadurch der Beste seiner Art. Und, wie alle Guten, ist er natürlich auch der erste und letzte seiner Art. Und den Kopisten, die schon in den Startlöchern stehen, um irgendwann einmal dieses Marktsegment zu bedienen, sei gesagt, Zwerge, die sich auf die Schultern von Riesen setzen, bleiben Zwerge.

Helge Schneider ist ein Erzähler, der sich Geschichten ausdenkt und spielt. Er spielt Klavier und tausend andere Instrumente. Er singt, tanzt, dichtet, filmt, reimt, er hat eine kongeniale Gesichtskomik und manchmal hat man den Eindruck, dass er vielleicht gar nicht weiß: Wo kommt es her, wo will es hin? Das alles ist doch sehr persönlich. Aber das würde ihm nicht gerecht werden, denn er ist ein Könner. Seine Improvisationskunst ist wie ein schnell fließender Fluß, und wenn Helge spielt, ist er immer im Moment. Manchmal glaube ich, er ist aus dem, was er spielt. Helge besteht aus Helge. Ich nenne es das Schneiderhafte und wo Helge ist, sind nur ganz wenige.

Helge verkauft keine Konfektionsware. Er ist einer der letzten Tante Emma Läden. Und der Laden läuft. Gut, andere gehen dann eben doch zu den Discountern, die können dann die Witze ein bisschen billiger machen. Helge geht ins Risiko. In der Coronazeit ein Konzert abzubrechen, weil man spürt, dass es nicht geht, davor ziehe ich den Hut. Eine TV Sendung abzubrechen, weil man spürt, dass es nicht geht, ist bewundernswert. Spielen will gelernt sein. Bei der zunehmenden pseudopolitischen Perfektion der TV Unterhaltung fürchtet man sich vor dem Scheitern, und wer nicht scheitern kann, hört auf zu spielen. Aber, es ist das Scheitern, das uns weiter bringt.

Und das kann man einfach zusammenfassen:„Nö. Mach ich nicht mehr!!“

Helge ist einer wenigen Bühnenkünstler. Analog, wahrhaftig und ehrlich. Spektakuläre Outfits, großartige selbst gemalte Plakate, Bücher, Filme. Ein Ausbund von Kreativität. Und auch das ist Helge: Er lernt einen Parkwächter kennen und schreibt für ihn ein Paar Rollen. Wer kann das? Helge hat für einen Moment das Leben eines Menschen verändert. Helmuth Körschgen, den vorher niemand kannte, wurde zu einem Publikumsliebling. Eine schneiderhafte Geschichte.

Viele reden auf Bühnen oder vor den Kameras darüber, wie wichtig es ist, diese geschundene Welt zu einem besseren Ort zu machen. Helge macht es einfach und warum macht er es? Weil er es kann. Nicht umsonst hat Christoph Schlingensief mit ihm gearbeitet. Erschaffen wir also eine Gegenwelt umd nehmen wir unser Publikum mit auf eine kleine Reise. Der Austropoperfinder Falko sah das übrigens genauso. Die Zeit, die wir miteinander verbringen, sollte irgendwie schön, oder anders sein, als die tagtäglichen Zumutungen.

Was die Kunst von Helge ausmacht, ist, dass sie frei ist von Neid , sie ist frei von Hass, sie bedient keine Feindseligkeiten, wie es mittlerweile in meinem Genre, dem politischen Kabarett, fast normal geworden ist. Und so besingt er das alltägliche. Er besingt die Mörchen, das Käsebrot, das Klo der Katze, den Telefonmann oder den bösen Willi. Was in seinem Kopfzimmer vorgeht entscheidet allein der Augenblick. Ich nenne es die Kunst des Unvollkommenen. Das Perfekte ist uninteressant. DieMakellosigkeit der Benutzeroberfläche, die uns das Fernsehen oder die Medien vorgaukeln gibt es sowieso nicht. Ich würde noch weiter gehen.

Es ist das goldene Kalb, um das die Medien herumztanzen, um uns dann diesen Tanz als Wirklichkeit zu verkaufen. Und wenn sich dann die Kunst auch noch politisch macht, kann sie ja auch gleich auf sich verzichten, weil sie nur tönt und nicht klingt. Helge klingt und wenn er sagt: „Schuld an allem sind die Amerikaner, aber der Russe auch.“ Dabei handelt es sich um eine zutiefst weltpolitische Äußerung. Und sollten irgendwann Ausserirdische zu uns kommen, hoffe ich, dass Helge Schneider mit ihnen Kontakt aufnimmt und nicht Annalena Baerbock.

Helge ist eben talentiert. Er ist ein Forscher, Professor, Kundschafter, Schwertschlucker, Feuerspucker, Artist, Dedektiv, Ritter, Dompteur, Dichter. Und ich glaube, dass er das Kölnkonzert von Keath Jarret komponiert hat. Viele von uns sind auserwählt, aber nur wenige sind berufen. Helge ist ein Berufener, ein Botschafter ohne Heiligenschein. Er ist der beste Helge aller Zeiten. Herzlichen Glückwunsch zum 70. Geburtstag. Gott schütze dich und dieses Land Glück auf!

veröffentlicht:  DER TAGESSPIEGEL am 30.08.2025

Die Urfassung dieser Laudatio hat Andreas Rebers anlässlich der Verleihung des Münchhausen-Preises der Stadt Bodenwerder 2024 an Helge Schneider gehalten,
gefolgt von einem gemeinsamen Auftritt unter dem Motto
„Helge Schneider macht was er will und Andreas Rebers macht mit“